Mit ihrer ungewöhnlichen Erzählung „Die Lücke“ ist Ria Neumann etwas besonderes gelungen. An das Sterbebett einer Freundin gerufen, beginnt die Ich-Erzählerin deren Lebensweg und ihr Verhältnis zu der Verstorbenen zu überdenken. Die Zeit bis zur Beisetzung ist geprägt von Gesprächen mit dem Sohn und der Lektüre eines Tagebuches. Eigene Erinnerungen ergänzen das Bild. Eine Frau, hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und Humor, kaum in der Lage, ihr Leben zu ordnen, wird sichtbar. Zudem schleppt sie eine in frühester Kindheit zugefügte körperliche Verstümmelung mit sich herum. Der Leser fühlt sich an Situationen erinnert, die er kennt und über die er doch nicht spricht: Von Fehleinschätzungen und schlechtem gewissen, von Trauer und Tröstlichem, von Versäumnissen und Unwiederbringlichem. Das Reflektieren ihres eigenen Verhaltens stürzt die Erzählerin in Schuldgefühle. Das Kafka-Zitat „Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich“ weist auf den Verdrängungsmechanismus der Protagonistin hin. Eine glänzend geschriebene Auseinandersetzung über den Verlust einer Freundschaft, atmosphärisch und dicht beschrieben – und zum Nachdenken über das Leben.
68 Seiten, Hardcover